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Heimatwerk Grafschaft Glatz
Heimatwerk Grafschaft Glatz e.V. (ehem. Glatzer Visitatur)

Minoritenkirche Glatz

Kaplan Gerhard Hirschfelder

> Seligsprechung am 19.09.2010

Die Predigt von Joachim Kardinal Meisner

www.kaplanhirschfelder.de

Die Predigt von Joachim Kardinal Meisner

Hier die Predigt Joachim Kardinal Meisner aus dem Gottesdienst zur Seligsprechung Kaplan Gerhard Hirschfelder am 19.09.2010 im Paulusdom zu Münster. Am Ende der Seite bieten wir auch eine Downloadmöglichkeit per PDF.

Predigt anlässlich der Seligsprechung von Kaplan Gerhard Hirschfelder im Hohen Dom zu Münster am 19. September 2010

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

  1. „Deine Heiligen sind wie Wasser, die aufwärts fließen“, schreibt die Dichterin Gertrud von le Fort in ihren „Hymnen an die Kirche“. Was physikalisch unmöglich ist - dass Wasser aufwärts fließt -, wird übernatürlich möglich: dass ein schwacher Mensch zu einem Heiligen wird. Die Kirche erhebt heute in der Seligsprechung einen solchen Menschen, einen jungen Priester, zur Ehre der Altäre: Gerhard Hirschfelder. Als 35-Jähriger hat er im KZ Dachau sein Leben für Christus hingegeben. Jeder von uns weiß, dass Wasser nicht aufwärts fließen kann. Gegen das Gesetz der Schwerkraft gibt es keine Ausnahmen. Und es weiß wohl auch jeder von uns, wie schwer es ist, gegen die Trends einer Zeit anzugehen, gegen das, was heute „in“ ist, und für das einzutreten, für das man umgehend in der Gesellschaft, in den Medien und mitunter auch innerhalb der Kirche kritisiert wird. Zivilcourage ist heute eine seltene Tugend geworden. Nein, sie war es immer! Ihr christlicher Name heißt „Tapferkeit“. Dieses Wort „Tapferkeit“ findet sich sehr häufig in den Kreuzwegbetrachtungen von Kaplan Gerhard Hirschfelder und in seinen tiefen theologischen Kommentaren zu den Paulusbriefen. Beides hat er im Untersuchungsgefängnis geschrieben. Und sein Leben und Sterben bezeugen, dass er weiß, wovon er spricht. Dass hier ein Tapferer seine tiefen Gedanken niederschreibt, spürt jeder. Vergessen wir dabei nicht: Beides ist nicht in einem elfenbeinernen Turm eines stillen Studierzimmers geschrieben, sondern in der Gefängniszelle der Gestapo von Glatz.
     
  2. Tapferkeit bedeutet nicht Tollkühnheit, sondern sie ist die Energie des Glaubens. Paulus definiert sie, indem er schreibt: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Der Herr selbst ist seine Stärke. Ihm ist Gerhard Hirschfelder begegnet, und er hat sein von Anfang an nicht leichtes Leben groß, weit und fruchtbar gemacht, wie der Psalmist betet: „Gott, der mich erfreut von Jugend auf“ (Ps 43,4). Er ist der Einzige, der ihn nie enttäuscht hat und zu ihm gestanden ist in allem Auf und Ab seines jungen Lebens. Daher ließ er sich das Herz von ihm abgewinnen. Er handelte wie Johannes unter dem Kreuz, als der Herr ihm im Hinblick auf Maria sagte: „Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19,27). Weil Gerhard Hirschfelder Maria in das Haus seines Daseins aufgenommen hatte, war er ein von Christus so tief ergriffener junger Christ und Priester. Er war gleichsam von der Kraft Christi geladen. Die Liebe Christi drängte ihn über alle Gefahren und Widerstände hinweg. Mit seinem Gott sprang er gleichsam über Mauern von Angst, Vorurteilen, Feigheiten und Leisetretereien.
     
  3. Tapferkeit zeigt sich im geduldigen Tragen der Last des Dabeiseins und Dabeibleibens. Als Kaplan und dann später als Diözesanjugendseelsorger in der Grafschaft Glatz – so würden wir heute sagen – war ihm ein heute wie damals wichtiges, aber in der Hitlerzeit äußerst schwieriges Seelsorgefeld zugewiesen worden. Viele sind damals dem Trend der Zeit erlegen, machten nicht mehr mit, gelangten ins Abseits, hielten sich heraus und verschanzten sich hinter ihren Zuständigkeiten. Die Antwort Gerhard Hirschfelders war aber nicht Resignation und Lamentieren, sondern seine „Jetzt-erst-recht-Mentalität“ ließ ihn zu einem forschen, sympathischen und schwungvollen Jugendseelsorger werden. Seine Wurzeln lagen in einer überaus tiefen Christusverbundenheit und Christusnähe. Daraus konnte er mit Paulus sprechen: Die Liebe Christi drängt mich (vgl. 2 Kor 5,14). Nicht die Fragen: „Komme ich damit an? Ecke ich auch damit nicht an? Provoziere ich damit auch nicht die Gegner?“ bewegten sein Denken, Sprechen und Handeln, sondern das, was der Herr von ihm erwartete und schließlich in ihm vollbrachte, der wirklich sein Leben geworden war. Seine Christuserfahrung und seine tiefe Liebe und Verbundenheit zu den jungen Menschen, die von der Naziideologie bedrängt wurden und durch sie gefährdet waren, ließen ihn alle Vorsicht und Angst vergessen, um sich im Totaleinsatz vor sie zu stellen, indem er sagte: „Wer der Jugend den Glauben an Christus aus dem Herzen reißt, ist ein Verbrecher!“.
     
  4. Tapferkeit hat etwas mit der Freude zu tun. Die Freude an Gott ist unsere Stärke (vgl. Neh 8,10). Paulus sagt: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! ... Der Herr ist nahe“ (Phil 4,4-5). Seine Lebensnähe zum Christusleben machte Gerhard Hirschfelder tapfer und froh zugleich. Er war wirklich ein Zeuge des Evangeliums. Das machte seine Sendung gerade bei Kindern und Jugendlichen, eigentlich bei allen Menschen so fruchtbar, sodass der Feind aufstand und sich provoziert fühlte. Er verstand sich nicht als Angehöriger einer Nachhut aus dem Mittelalter, wie man das damals und heute gern Christen anhängen möchte, sondern er wusste sich als Herold einer Zukunft, von der seine feindlichen Zeitgenossen überhaupt noch keine Ahnung hatten. Diese Christusnähe erfüllte ihn mit einem demütigen Selbstbewusstsein und einem hoffnungsvollen Siegesbewusstsein. Darum wurde er so überzeugend in seinem Leben und seinem Handeln. Nichts lag ihm ferner, als ein kirchlicher Beamter zu werden. Er gehörte nicht zu den Leisetretern, zu den Ängstlichen, sondern zu den Bekennern und Zeugen. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Martyrer, ein Zeuge.
     
  5. Sehr häufig finden wir in seinen geistlichen Notizen aus dem Gefängnis das Wort „Leiden“, sicher erwachsen aus seiner augenblicklichen Situation in der Gefangenschaft. Für Gerhard Hirschfelder wurde das Gefängnis und das KZ zu seinem Leidensweg, zu seinem Kreuzweg. Er beschreibt seine Gefängnisängste und –erfahrungen in den 14 Stationen seiner Kreuzwegbetrachtungen. Deshalb hatten die Leiden bei ihm nie einen negativen Klang, sondern man spürt, dass er darin den Gott der Liebe erkannte. „Ich mag dich leiden“ ist doch eine Liebeserklärung. Und Gott ließ ihn leiden. Er hat gleichsam die horizontale Lebenslinie dieses aktiven und sympathischen Seelsorgers vertikal durch die vertikale Gotteslinie durchkreuzt, sodass aus dem Minus seiner Widersacher das Plus seines Zeugnisses geworden ist. Das Kreuz ist das Plus gewordene Minus der Welt durch die Gnade Gottes. Gerhard Hirschfelder ist durch und durch ein solcher Plustyp.
     
    Die Kirche erhebt ihn heute zu den Ehren der Altäre, während seine braunen Konkurrenten längst vergessen sind. Dass ein junger Mensch, ein junger Priester so intuitiv im Leiden das Lieben erkannte, im Kreuz das Pluszeichen sah, über dem Gefängnis den offenen Himmel erblickte, ist wirklich ein großes Werk der Gnade Gottes. Schon immer war Gerhard Hirschfelder der Feuerapostel Paulus ans Herz gewachsen. Als er im Gefängnis in die Lebensform des Apostels am Ende seines Lebens hineinwuchs, wurde er gleichsam ein Herz und eine Seele mit ihm. Er schrieb hier seine Lieblingsstellen der Paulinischen Briefe auf und ließ sie in sein Herz einsickern, sodass er deutlich machte, wie das sein Priester- und Christenleben verwandeln wird. Man kann seine Paulinischen Notizen nur zur Lektüre empfehlen. Bei diesem jungen Priester können auch ältere Priester und Bischöfe in die Schule gehen. „Entzünde in uns das Feuer seiner Liebe!“, ist die Bitte nach einer Begegnung mit Gerhard Hirschfelder. Jugendseelsorger von solchem Format möge Gott unserer geplagten Jugend gerade heute schenken.
     
  6. Wir feiern heute mit der Seligsprechung von Gerhard Hirschfelder ein großes Familienfest, denn er ist einer von uns. Christus definierte damals den Judas negativ im Hinblick auf seine Apostel, indem er sagte: „Einer von euch wird mich verraten“ (Mt 26,21). Heute wird uns positiv gesagt: Gerhard Hirschfelder - Christ, Priester und Martyrer - ist einer von euch. Zunächst werden das im engeren Sinne die Grafschafter und die Schlesier sagen dürfen. Der neue Selige ist Blut von eurem Blut, Erde von eurer Erde, aber er gehört darüber hinaus uns allen in Deutschland. Er ist die Ehre unseres Volkes, weil wir nicht allzu viele junge Bekenner und Glaubensmartyrer von seinem Format aufzuweisen haben. Auch unsere lieben polnischen Mitchristen dürfen sagen: Er ist einer von uns, da unsere irdische Heimat auch ihre irdische Heimat geworden ist. Zum Zeichen dafür ist sein heutiger Heimatbischof, der Bischof von Schweidnitz, Professor Dr. Ignacy Dec, mit vielen Priestern und Gläubigen hier in Münster anwesend. Weil die Grafschaft Glatz, die irdische Heimat unseres seligen Gerhard Hirschfelder, kirchlich bis 1972 zum Erzbistum Prag gehörte, ist auch hier und heute der jetzige Erzbischof von Prag, Dr. Dominik Duka, in unserer Mitte, dem wir ebenfalls zum neuen Martyrerseligen seiner Erzdiözese gratulieren. In der Kirche sind wir immer zuerst Kinder Gottes, Schwestern und Brüder Christi, und dann erst Mitglieder unserer Nationen.
     
    Wenn die Kirche eine Heilig- oder Seligsprechung vornimmt, dann verleiht sie keinen kirchlichen Nobelpreis, sondern bezeugt vor Gott und der Welt, dass Heiligkeit möglich ist und dass wir uns dem Seligen oder Heiligen zugehörig wissen dürfen. Ein Seliger ist nicht ein Nationalheld, sondern ein Welt- und Himmelsbürger Christi. „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde“ (1 Petr 2,9). Dafür steht ab heute kirchenamtlich Gerhard Hirschfelder vor uns, ja unter uns.
     
    Wir zählen als Christen in der Werteskala Gottes. Wir sind nicht die letzten der Mohikaner! Für Minderwertigkeitskomplexe sollten wir nicht empfänglich sein! Wir haben Grund zu wirklichem Selbstbewusstsein. Nicht weil wir so tüchtige Leute sind, sondern weil es unser Gott ist, der sich als groß erwiesen hat in menschlicher Schwachheit in unseren Heiligen und Seligen. Die Allerheiligenlitanei ist das große Ruhmesblatt der Kirche. Und wir dürfen uns dieser erstaunlichen Ahnenreihe zugehörig fühlen. „Heiligkeit ist der Weg der Kirche durch das neue Jahrhundert“, schrieb Papst Johannes Paul II. in seinem berühmten Apostolischen Schreiben „Novo Millennio ineunte“. Und Heiligkeit ist immer und überall möglich. Vergessen wir nicht, dass in den Augen Gottes die Heiligen die normalen Christen sind und nicht die Mittelmäßigen.
     
  7. Die Seligsprechung von Gerhard Hirschfelder erscheint wie eine Frucht der beiden vorausgegangenen Jahre: des Paulusjahres und des Priesterjahres. Wie der Apostel Paulus schreibt Gerhard Hirschfelder im Gefängnis, gleichsam mit gefesselten Händen und begeistertem Herzen, sein Glaubenszeugnis nieder, und er bemitleidet sich dabei nicht selbst, sondern sein ganzes Sinnen und Trachten geht auf Christus und auf die Gestalt des Priesters, damit er überall ein fruchtbarer und überzeugender Seelsorger sei. Die Ausführungen Gerhard Hirschfelders über das Priestertum nach den Briefen des Apostels Paulus gehören zu den schönsten und zugleich zu den praktischsten Hinweisen, die es für uns Priester in der Gegenwart nach der Gestalt des hl. Paulus gibt. Da werden keine gesellschaftlichen Zeitumstände oder kirchlichen Seelsorgeverhältnisse für eine Relativierung des priesterlichen Einsatzes geltend gemacht, sondern direkt – man könnte sagen: aus dem Herzen des Apostels Paulus heraus – sein apostolisches Blut in die Herzen der Priester transfundiert. Ich kann uns Priestern seine schlichten Texte, die seine Bemerkung zu den Paulusbriefen darstellen, und seine Kreuzwegmeditationen, nur wärmstens empfehlen. Da klingt nichts abgehoben, überzogen, theoretisch oder konstruiert. Das ist priesterliches Leben aus dem Leben des Völkerapostels Paulus. Das reißt aus aller Kleinmütigkeit und Ungläubigkeit heraus und stellt uns in den langen und kräftigen Atem des Völkerapostels. Wie die Kirchenväter sagen: „Cor Pauli, cor mundi“ – „Das Herz des Paulus ist das Herz der Welt“. So fand sich der junge gefangene Priester Gerhard Hirschfelder mit dem liebenden Herzen im Gefängnis und dann im Konzentrationslager Dachau vor. Er wusste, dass weder Gefängnismauern noch Stacheldraht ein für Christus brennendes Herz begrenzen und inhaftieren können. Wir danken Gott, dass er ihn berufen hat, vor ihm zu stehen und uns – fast 70 Jahre nach seinem Tod – in der Seligsprechung zu dienen. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln

Predigt als PDF (56 kB)

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